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Das Jellinek-Schema


25.          Sichern des Alkoholvorrates
               und verschärftes heimliches Trinken

Die inzwischen massiven Kontrollverlusterfahrungen ebenso wie das inzwischen schon existentielle seelische Bedürfnis Alkohol jederzeit greifbar zu haben,
veranlassen den Alkoholiker, seinen Alkoholvorrat immer zu sichern, wobei er je nach Lebenssituation spätestens jetzt auch dazu übergeht, ihn zu verstecken.


26.          Vernachlässigung angemessener Ernährung

Da der Alkoholiker immer mehr gedanklich und in seinem Handeln um den
Alkohol kreist und sich darüber hinaus auch erste Auswirkungen des Trinkens auf den Organismus bemerkbar machen (Appetitlosigkeit), beginnt er auch
allmählich, seine Ernährung zu vernachlässigen. In Trinkphasen ißt er häufig
unregelmäßig oder gar nicht oder ernährt sich überwiegend von Fastfood oder Fertigprodukten.


27.    Erste medizinische Behandlungen werden notwendig

Beim Alkoholiker werden die ersten organischen Schäden akut  wie z.B. Gastritis (Magen­schleimhautentzündungen), Leberschäden, vegetative Dystonie
(Neigung zu Herzrasen, Blutdruckschwankungen, vermehrtes Schwitzen u.ä.),
oder es treten alkoholbedingte Unfälle und Verletzungen auf, so daß ambulante oder stationäre ärztliche Behandlungen notwendig werden. Es kann auch zu
ersten ambulanten oder stationären Entgiftungen kommen.


28.    Veränderungen im Sexualverhalten

Hat zu Beginn die Alkoholwirkung noch dazu beigetragen, sexuelle Hemmungen abzubauen und damit möglicherweise zu einer Steigerung sexueller Aktivitäten geführt, zeigt sich im Rahmen der allgemein zugenommenen Initiativlosigkeit des Alkoholikers jetzt eher ein verringertes bis völlig geschwundenes Interesse an Sexualität. Oft führen auch die „Alkoholfahne" und die alkohol-bedingten
körperlichen Ausdünstungen zu einer gegenseitigen Vermeidung körperliche
Annäherung. Bei Männern  führt die anhaltende organische Vergiftung nicht
selten auch dazu, daß sie nicht mehr in der Lage sind, den Geschlechtsakt durchzuführen (Impotenz).


29.    Alkoholische Eifersucht

Im Zusammenhang mit dem unter Punkt 28 beschriebenen Verhalten und
insbesondere auch durch den vom Alkoholiker selbst wahrgenommenen Verfall der eigenen Attraktivität zeigen Betroffene nicht selten unbegründete
eifersüchtige Reaktionen. Dem Partner wird unterstellt, er strebe nach einem attraktiven Ersatz oder habe diesen bereits gefunden.
Dies kann sich zur „fixen Idee" entwickeln.

 
30.    Morgendliches Trinken

Aufgrund des sich immer stärker ausprägenden Kontrollverlustes führt der nach vorabendlichem Trinken über Nacht abgesunkene Alkoholspiegel, verbunden mit der zunehmenden Angst, den Alltag nicht mehr bewältigen zu können, dazu, daß der Alkoholiker bereits in den Morgenstunden oder am Vormittag einen fast
unwiderstehlichen Drang zum Trinken verspürt, dem er immer häufiger nachgibt.
Mit diesem Verhalten steht der Alkoholiker deutlich außerhalb der
gesellschaftlichen Trinkkonventionen. Auch dadurch wird erkennbar,
inwieweit seine körperliche und moralische Widerstandskraft durch die
Krankheit bereits untergraben sind.


Die Chronische Phase (D.) 

Die chronische Phase umfaßt zum einen Symptome körperlichen und seelischen Entzugs sowie als Folge langjähriger Suchtmitteleinnahme spezifische
körperliche Folgeerkrankungen.
Zum anderen ist sie dadurch gekennzeichnet, daß das Verhalten des Abhängigen der Suchtmitteleinnahme phasenweise fast uneingeschränkt untergeordnet ist. Dies löst häufig massivste negative Reaktionen des Umfeldes aus und führt so
zu einem erheblichen Leidensdruck des Betroffenen.


31.    Ununterbrochener Alkoholeinfluß über mehrere Tage

Die zunehmend beherrschende Rolle des Alkohols, die sich  schon im
morgendlichen Trinken zeigt, läßt den Vorsatz des Alkoholikers, weniger zu
trinken immer öfter zusammenbrechen, so daß es vorkommt, daß er über
mehrere Tage hinweg ständig unter Alkoholeinfluß steht.
Dabei kann es passieren, daß er tagsüber deutliche Anzeichen von Trunkenheit zeigt, die er nicht mehr überspielen kann.
Dieses Symptom setzt voraus, daß der Alkoholiker bei seinem morgendlichen Trinken bereits auf den Restalkohol des Vortages erneut Alkohol trinkt.


32.    Zusammenbruch individueller Wertvorstellungen

Der sich immer massiver und zwanghafter durchsetzende Kontrollverlust in
Verbindung mit der zunehmenden Gleichgültigkeit und Resignation des
Alkoholikers führen dazu, daß auch wesentliche eigene Wertvorstellungen nicht mehr befolgt werden können. D.h. auch, daß der Betroffene ggfs. bereit ist,
sich im Notfall über alle gesellschaftlichen Regeln und Vorstellungen hinweg zu setzen, um sich das Trinken zu ermöglichen.
So kann es zum Beispiel vorkommen, daß er Besitz- und Eigentumsverhältnisse außer Acht läßt, seine Körperpflege in auffälliger Weise vernachlässigt oder sich völlig über berufliche und private Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten
hinwegsetzt.


33.    Beeinträchtigung des Denkens

Das Denkvermögen des Alkoholikers weist inzwischen erhebliche
Ausfallerscheinungen auf. Oft ist er nicht mehr oder nur noch begrenzt in der
Lage, seine Situation realitätsgerecht oder mit der ausreichenden Kritikfähigkeit einzuschätzen.
Oft ist er auch nicht mehr zu folgerichtigen Überlegungen imstande, schwierige Zusammenhänge können nur noch mühsam oder gar nicht erfaßt werden
und/oder die Konzentrationsfähigkeit ist massiv beeinträchtigt,
so daß es z.B. oft schwerfällt, längere Texte zu lesen und zu verstehen.
Auch kann es im Zusammenhang damit zu auffälligen beruflichen und privaten Fehlentscheidungen kommen. Ebenso ist es aufgrund der Beeinträchtigung des Denkens bisweilen auch schwer, neue Sichtweisen und Gedanken - so wie das
in einer Therapie notwendig ist - in das eigene Denksystem aufzunehmen.
Nicht selten ist  die gesamte intellektuelle Leistungsfähigkeit jetzt auch in
Abstinenzphasen deutlich beeinträchtigt.


34.    Psychische Entzugserscheinungen

Mit dem Absinken des Alkoholspiegels treten bei dem Betroffenen
unbestimmbare, massive Ängste und ausgeprägte innere Unruhe auf.
Er fühlt sich ständig nervös. Diesen Zustand versucht er mit Alkohol abzuwehren bzw. zu überspielen, was ihm jedoch auf Dauer nur gelingen kann,
wenn er seinen Alkoholspiegel ständig auf einer bestimmten Höhe hält.


35.    Erhebliche körperliche Entzugserscheinungen

Mit dem Absinken des Alkoholspiegels können jetzt beim Alkoholiker auch
massive körperliche Entzugserscheinungen, wie anhaltendes Zittern,
besonders der Hände (Tremor), massive Schweißausbrüche, Herzrasen,
Schwindel, Erbrechen oder Würgen auftreten. Besonders ausgeprägt sind diese Symptome häufig morgens, wenn der Betroffene in der Nacht seinen
Alkoholspiegel nicht ergänzt hat. Das verräterische Zittern erlebt der Alkoholiker aber auch nicht selten in Situationen, in denen er sich beobachtet fühlt.
Auch diese Zustände kann der Alkoholiker nur noch mit erneutem Trinken unter Kontrolle bringen.

( Fortsetzung )